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Ein Kunstpreis für Halle
Autor: Ulf Dräger
Erschienen in: „Hallescher Kunstpreis 2008 - 2019“, herausgegeben vom Halleschen Kunstverein e.V., Halle (Saale) 2020
Einen Preis ins Leben zu rufen, bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Eine ambitionierte und renommierte Ehrung zu entwickeln, verlangt nach einem langfristigen Engagement. Sie erfordert die Kooperation mit verlässlichen Partnern und kann nur auf einer nicht veraltenden Idee mit einer besonderen gesellschaftlichen Relevanz und Akzeptanz beruhen. Im Jahr 2008 verzeichnete das „Handbuch der Kulturpreise“ in Deutschland immerhin 3.000 Ehrungen, Stipendien und Projektförderungen mit über 9.000 Einzelvergaben im Jahr. 14% davon nahmen die 421 Ehrungen für bildende Künste ein. In den Jahren nach 2000 hatte sich die Gesamtzahl um etwa 50% erhöht. Insbesondere die Wiederaufnahmen und Neubegründungen in den damals „Neue Bundesländer“ genannten Regionen waren für diesen bemerkenswerten Aufwuchs verantwortlich. Verstärkt kam es in diesen Jahren zu gemischten Trägerschaften, indem insbesondere Kommunen zusammen mit Verbänden Auszeichnungen stifteten.
Schwieriger Anfang
In Halle (Saale) wurde ein eigener Kunstpreis für ein bedeutendes Werk viele Jahre vermisst. Anregungen für eine Fortsetzung oder Wiederbegründung des alten Halleschen Kunstpreises in den frühen 1990er Jahren, unter anderem auch vom Halleschen Kunstverein ausgesprochen, verliefen zunächst ergebnislos, obwohl sich der Händel-Preis und Händel- Förderpreis ab 1993 schnell als renommierte Auszeichnung in der Musikszene etablieren konnten und sich das städtische Stipendium für einen Stadtschreiber seit 1991 als bewusste Literaturförderung kontinuierlich tradierte. Auch die Befürwortung des damaligen Oberbürgermeisters Klaus Peter Rauen (1935–2018) führten nicht zu einer Stiftung.
Der 1993 von der Dresdner Bank in Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule Burg Giebichenstein für die Auszeichnung ihrer Absolventen gestiftete „Ars Halensis“ schloss die Lücke nicht. Der seit einigen Jahren ruhende Preis für junge Künstler wurde vom Kunst-Förderpreis der Stadtwerke Halle seit 1995 und vom Kunstpreis der Stiftung der Saalesparkasse seit 2007 ergänzt. Zu den Nachwuchskunstpreisen gehört selbstverständlich auch der von dem Bildhauer und Medailleur Gustav Weidanz gestiftete und seit 1975 kontinuierlich verliehene Gustav-Weidanz-Preis für Plastik. Diese Ehrungen flankierten lediglich private Initiativen wie der im Jahr 2003 in Halle verliehene herausragende „Helen-Abott-Förderpreis“.
Allerdings hatte im Jahr 1992 das Land Sachsen-Anhalt erstmals einen Kunstpreis für bildende und angewandte Kunst ausgelobt, von dessen inzwischen 16 Preisträgern 14 ihre künstlerische Prägung in Halle fanden oder auch ihren Lebensmittelpunkt in der Saalestadt hatten und haben. Diese zweifellos wichtige Auszeichnung war in Halle ein durchaus motivierender Katalysator, der die kontinuierlichen Diskussionen um eine eigene Initiative nicht abreißen ließ.
Ideen nehmen Gestalt an
Am 10. Oktober 2005 fand auf Einladung von Hans-Georg Sehrt (1942–2019) ein erstes Gespräch in einer kleinen Runde für die Stiftung eines neuen Halleschen Kunstpreises statt. Äußerer Anlass war die Suche nach einer angemessenen Würdigung des damals in den Medien vor allem wegen seiner politischen Rolle umstrittenen Malers und Grafikers Willi Sitte (1921–2013) zu seinem 85. Geburtstag am 28. Februar 2006. Die dort geäußerten Ideen führten zu einem ersten Entwurf für eine Satzung des neuen Halleschen Kunstpreises am 18. Dezember 2005, die in wesentlichen Grundzügen der später bestätigen Fassung entsprach. Am 15. Juli 2007 trat erstmals das berufene Kuratorium zusammen. Das Gespräch mit der für die Idee engagiert eintretenden Oberbürgermeistern Dagmar Szabados am 17. Oktober 2007 führte schließlich zur Unterzeichnung der Satzung vom 7. August 2008 durch Hans-Georg Sehrt als 1. Vorsitzenden des Halleschen Kunstvereins und der Oberbürgermeisterin. Die Satzung wird von der am 15. Juli 2008 beschlossenen Geschäftsordnung ergänzt.
Die berufenen und ehrenamtlich tätigen Kuratoren sollen die Bereiche Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft repräsentieren. Um Interessenkonflikte zu vermeiden, wurde die Einbeziehung eines bildenden Künstlers in die Jury ausgeschlossen. Der Vorsitzende des Kunstvereins hat die Funktion des ersten Vorschlagenden und des Moderators. Zu den Gründungskuratoren des Halleschen Kunstpreises gehörten neben dem Vorsitzenden des Kunstvereins Dr. Hans Georg Sehrt und der Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados als Repräsentant für die Kultur Ulf Dräger, für die Wirtschaft Hanns Henning Grote (1941–2014) und für die Wissenschaft Prof. Dr. Rüdiger Pohl. Alle Beteiligten haben ausgezeichnete Referenzen und eine besondere Reputation, vor allem aber auch ein hohes Interesse an der halleschen Kunstszene der Gegenwart. Damit waren die Grundlagen für die erste Preisverleihung am 27. Oktober 2008 gelegt.
Anliegen: Öffentliche Würdigung
Anlass für das Engagement des Vereins war das Bedürfnis für eine öffentlich wertschätzende Würdigung herausragender künstlerischer Lebenswerke in und aus Halle. Besonders die ursprünglich städtische Kunstschule Burg Giebichenstein entfaltete und entfaltet eine Anziehungskraft, die Halle den Rang einer wichtigen deutschen Kunststadt gibt. Viele bedeutende Künstler hatten und haben hier ihren Lebensmittelpunkt und sind eng mit der Stadt verbunden. Die Initiative berücksichtigte die Verpflichtung und Tradition der Stadt Halle zur Förderung und Anerkennung künstlerischer Leistungen. Ihr Zweck ist so bestimmt, dass sie die Ziele anderer in Halle ausgelobter Kunstpreise nicht einschränkte.
Der Hallesche Kunstpreis, ausgelobt vom Halleschen Kunstverein e.V., ist der erste Ehrenpreis für bildende Kunst der Stadt Halle. Er steht unter der Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters, der ein geborenes Mitglied im Kuratorium des Preises ist.
Ehrung mit Tradition
Der Kunstpreis sieht sich in der Tradition der vormals unmittelbar von der Stadt selbst ausgelobten Ehrungen. Die Stadt verleiht als höchste Auszeichnung seit 1833 die Ehrenbürgerwürde. Der erste damit geehrte Künstler war der Bildhauer Hermann Rudolf Heidel (1811–1865), dem die Würde anlässlich der Enthüllung des von ihm geschaffenen Händel-Denkmals auf dem Marktplatz verliehen wurde. Im September 1912 regte Oberbürgermeister Richard Robert Rive (1864–1947) darüber hinaus die Schaffung einer Plakette oder Medaille zur Ehrung von Personen an, die sich um Halle verdient gemacht hatten.
Der Erste Weltkrieg verdrängte diese Idee. Zum ersten Verdienstzeichen der Stadt im 20. Jahrhundert wurde die in mehr als 800 Exemplaren verliehene Dankmedaille für Kriegshilfe, die 1917 der gerade als Leiter der ersten Fachklasse an die Kunstschule Burg Giebichenstein berufene Bildhauer Gustav Weidanz (1889–1970) gestaltete. Auch den 1924 folgenden allgemeinen „Ehrenpreis der Stadt Halle für hervorragende Leistungen“ entwarf der Künstler, ebenso die nicht verliehene Neufassung des Jahres 1932.
Kunstpreise für Malerei und Plastik
Am 29. April 1953 beschloss der Rat der Stadt die Schaffung eines speziellen Kunstpreises. Dieser sollte zunächst der Durchsetzung des dogmatischen Leitbildes einer sozialistisch-realistischen Kunst dienen. Im sogenannten „Formalismusstreit“ verloren ab 1951 die Stadt Halle und die Kunsthochschule Burg Giebichenstein eine ganze Reihe ihrer prägenden Künstlerpersönlichkeiten und jungen Talente. Der Kunstpreis sollte jährlich in zwei Klassen, und mit einer Medaille und einem Preisgeld von 3000 und 2000 Mark dotiert, für die besten Arbeiten auf dem Gebiet der Malerei und Plastik verliehen werden.
Eine berufene Jury entschied über die thematisch orientierte Auszeichnung. Die gekürten Werke sollten in den Besitz der Stadt übergehen. Zur Teilnahme aufgefordert waren in Halle ansässige Künstler. Die Preismedaille entwarf wiederum Gustav Weidanz. Erste Preisträger waren Willi Sitte mit dem Gemälde „Karl Marx liest vor“ und Gerhard Geyer mit seinen Plastiken „Der Bergmann“ und „Hallorenbraut“. Eine zusätzliche Anerkennung erhielt Heinz Beberniß für seine Skulptur „Der Gießer“.
Auch Preise für Musik und Literatur
Im Jahr 1955 erweiterte sich das Verleihungsspektrum auf Komponisten und Musikwissenschaftler und 1956 auf Schriftsteller. Dieser Konzeption folgte das Statut des Preises vom April 1957, das Verleihungen für Einzel- und Kollektivleistungen in der bildenden, angewandten und darstellenden Kunst, der Literatur, Musik und Interpretation aus dem laufenden Jahr durch mindestens ein Jahr in Halle ansässige Personen festlegte. Preisträger waren unter anderem das Opernensemble für die Aufführung der Händeloper „Poros“ und das Schauspielensemble des Theater der jungen Garde für „Das Tagebuch der Anne Frank“ sowie der Bildhauer Karl Voigt für die Thälmann-Büste im Foyer des Volksparks.
Eine Neufassung des Statutes erfolgte mit der Neuregelung des Preisgerichtes im Jahr 1964, dem nun auch Künstler und mit dem kulturellen Leben in der Stadt verbundene Werktätige angehören sollten. Das nächste Statut 1972 formulierte die „Förderung und Pflege der sozialistischen Kunst und Kultur“ als Ziel. Am 4. Oktober 1989 wurde dieser Hallesche Kunstpreis letztmalig an die Metallgestalterin Irmtraud Ohme, die Leiterin des Chores der Huttenschule Rosemarie Streithof und die Sängerin Gabriele Bernsdorf verliehen.
Halle-Neustadt mit eigenem Preis
Von 1969 bis 1985 verlieh die damals selbstständige Stadt Halle-Neustadt ebenfalls einen eigenständigen Kunstpreis für bildende Künstler und Schriftsteller sowie Volkskunstschaffende und Bürger der Stadt mit besonderen Verdiensten, dessen Preismedaillen vom Grafiker Fritz Stein (1911–1987) und 1976 von Gerhard Lichtenfeld (1921–1978) entworfen wurden.
Unabhängig von den politischen Bedingungen waren diese Kunstpreise natürlich ehrenvolle und motivierende Auszeichnungen. Als Uwe Pfeifer im Jahr 2009 den Halleschen Kunstpreis erhielt, zeigte er mit Stolz die ihm 1984 verliehene Medaille. Er ließ sich mit der Bemerkung zitieren, dass er auf den dritten Halleschen Kunstpreis in 25 Jahren reflektiere.
Preisverleihung als kulturelles Ereignis
Die festlichen Verleihungen des neuen Halleschen Kunstpreises waren von Beginn an bedeutende Veranstaltungen im Kulturleben der Stadt Halle. Für Willi Sitte füllte sich der große Saal des halleschen Stadthauses am 27. Oktober 2008 bis auf den letzten Platz. Am 3. November 2009 fanden viele Gäste von Uwe Pfeifer keinen Sitzplatz und begutachteten das Buffet bereits vor dem Ende der Festreden. Anlässlich der Verleihung an Renée Reichenbach am 25. November 2010 bedauerte die Presse erstmals die fehlende Dotierung des Ehrenpreises sowie die nicht im Zusammenhang mögliche Personalausstellung der Preisträgerin.
Zur Preisverleihung an Otto Möhwald am 17. November 2011 konnte im halleschen Stadtmuseum erstmals eine anlässlich der Ehrung veranstaltete Personalausstellung eröffnet werden. Im Jahr 2012 präsentierte der Preisträger Bernd Göbel eine große Ausstellung im Kunstforum der Saalesparkasse in der Bernburger Straße, die vor Augen führte, dass die bescheidenen Räumlichkeiten im Dachgeschoss des Christian-Wolff-Hauses, dem Stadtmuseum, den Preisträgern nicht angemessen waren.
Wechsel im Kuratorium
2013 zog sich Hans Grote aus gesundheitlichen Gründen aus dem Kuratorium zurück. Er hatte als Hauptsponsor die Entwicklung des Preises maßgeblich unterstützt. Als sein Nachfolger konnte Dr. Thomas Weckerle gewonnen werden. Mit der Wahl von Bernd Wiegand zum Oberbürgermeister der Stadt Halle schied auch Dagmar Szabados aus dem Kuratorium aus.
Der neue Oberbürgermeister delegierte die Vertretung der Stadt im Kuratorium auch aus formalen Gründen an die engagierte Dezernentin für Kultur und Sport Frau Dr. Judith Marquardt. Sein persönliches Engagement für den Preis zeigt sich vor allem in seinen weit über die üblichen begrüßenden Worte hinaus gehenden Einführungsreden zu den Festveranstaltungen, die von Gesprächen mit den Gekürten inspiriert sind. Anlässlich der ersten unter seiner Schirmherrschaft stehenden Preisverleihung an Hans-Christoph Rackwitz im Herbst 2013 erwarb er persönlich eine Arbeit des Preisträgers für sein Büro.
Würdigung in der Ulrichskirche
Wegen des großen Interesses in der Bürgerschaft fanden die Festveranstaltungen nun in der Konzerthalle Ulrichskirche statt. Die mit dem Preisträger des Jahres 2014 Ulrich Klieber verbundene Ausstellung „Friends. Tianjin. China“ eröffnete eine internationale Perspektive. Im Jahr 2015 wurde mit der Schmuckkünstlerin Beate Eismann die bis dahin jüngste Künstlerin mit dem Halleschen Kunstpreis ausgezeichnet. Diese Entscheidung gab dem Kuratorium eine neue Dynamik und öffnete nach eingehenden Diskussionen das bisherige Image der Auszeichnung. Die positiven Reaktionen motivierten das Kuratorium, das sich in seinen Beratungen immer wieder über das Ziel der Auszeichnungen konstruktiv austauschte.
Preis erhält Dotierung
Zur Preisverleihung im Jahr 2016 an Ulrich Reimkasten wurde der Hallesche Kunstpreis erstmals mit einem Preisgeld in Höhe von 5.000 Euro dotiert. Mehrere Jahre hatte die Öffentlichkeit eine Dotierung des Preises gefordert. Sie wurde vom Oberbürgermeister Bernd Wiegand ermöglicht, der die Stiftung der Saalesparkasse Halle von diesem Engagement überzeugte. Die Entscheidung zur Ehrung von Lutz Grumbach im Jahr 2017 fällte auch der neu berufene Kurator Uwe Thiemann, der zugleich seine Bereitschaft für ein umfängliches Sponsoring zur Ausrichtung des Preises ankündigte. Erstmals fand die Preisverleihung im Rahmen einer großen Personalausstellung im neuen Literaturhaus, dem ehemaligen Kunstforum der Saalesparkasse, statt.
Mit dieser neuen Präsentationsmöglichkeit und der Dotierung mit einem namhaften Preisgeld hatte der Hallesche Kunstpreis zu seiner 10. Vergabe den Rang eines großen Kunstpreises gewonnen, der den Vergleich mit traditionsreicheren Auszeichnungen in Deutschland nicht mehr scheuen muss. Die sich bereits 2016 abzeichnende überregionale Presseresonanz verstetigte sich.
Kleinplastik von Bernd Göbel
Für den Halleschen Kunstpreis gestaltete Bernd Göbel im Jahr 2008 eine spezielle und ausschließlich für diesen Zweck gedachte Kleinplastik als besonderes Ehrenzeichen, die der Bildhauer zu jeder Verleihung individuell bekrönt. Sie besteht aus einem weiblichen und männlichen Torso, der vom wichtigsten Wahrzeichen Halles, den fünf Türmen des Marktplatzes, getragen wird. Diese Plastik ist ein starkes und vollendetes Symbol für die Idee des Halleschen Kunstpreises.
Die positive Resonanz auf die Idee dieser Ehrung und ihre erfolgreiche, regelrecht dynamische Entwicklung ermutigt für die Zukunft. Die Stiftung des Preises hat nicht nur die Wahrnehmung und Wertschätzung der Preisträger, sondern auch der bildenden Kunst in Halle an sich gestärkt. Das Kuratorium hat zweifellos bewiesen, dass es verantwortungsvoll und sensibel handelte, auch wenn die Vielfalt und Lebendigkeit der Kunstäußerungen in der Saalestadt die Berücksichtigung aller bedeutenden Leistungen verbieten. Die Satzung des Preises vermerkt ausdrücklich, dass „der Zweck der Preisstiftung genau definiert und seine Verfolgung durch keine Veralterung gefährdet ist.“ Deshalb möge dieses erste Resümee als Ausgangspunkt für eine lange Traditionslinie sein.